Einsatz von RFID-Technik bei Wirthwein - Beispiele zu Industrie 4.0

Zeitung-Regio Business

Der Vorteil von RFID-Codes ist die Möglichkeit, die Chips immer wieder neu zu programmieren. Dies reduziert lästiges Anbringen stets neuer Aufkleber an Transportboxen und vermeidet Verpackungsmüll. Im Bild ein RFID-Code in der Textilbranche.

 

Wirthwein mittendrin im digitalen Wettlauf

Industrie 4.0: Hannover Messe, Chinabesuche der Kanzlerin und Zukunftsprojekt der Bundesregierung - das Thema ist in aller Munde. Doch was versteht man darunter und wo wird Industrie 4.0 bei Wirthwein schon genutzt? Wir haben uns auf die Spurensuche begeben und so manche interessante Anwendung gefunden. Digitale Vernetzung birgt ein enormes Zukunftspotential, auch das haben wir bei Wirthwein recherchiert.

 

Was ist Industrie 4.0 eigentlich?

Industrie 4.0 beschreibt die Vernetzung von Maschinen, Produkten, Lagersystemen und Betriebsmitteln, damit diese selbständig Informationen austauschen können. Beispielsweise melden Maschinen mittels Sensoren selbständig, wann sie gewartet werden müssen. Aufträge steuern sich selbständig: Sie buchen ihre Bearbeitungsmaschinen und das Material, nach der Fertigstellung organisiert der Auftrag selbständig die Auslieferung zum Kunden. Wenn die Ware beim Kunden eintrifft, generiert sich automatisch eine Rechnung.

Beispielsweise im Hinblick auf Ressourceneffizienz, Reduktion von Stillstandszeiten durch clevere Instandhaltung und Rüstplanung, Flexibilität, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der Logistik ist das die Zukunft.

Neben all den Chancen und Potentialen zur Schaffung einer „intelligenten Fabrik“ gibt es aber auch Risiken - etwa in Punkto Datensicherheit. Wie schützen sich Unternehmen vor Hackerangriffen, Produktpiraterie oder dem Verrat von Geschäftsgeheimnissen sowie sorgfältig gehütetem innerbetrieblichen Know-how?

 

Beispiele bei Wirthwein

Am Beispiel von zwei Anwendungen in unserem Haus wollen wir aufzeigen, in welchen Bereichen wir schon „Industrie 4.0“ praktizieren. Unser Know-how konzentriert sich auf die Bereiche Logistik und SAP.

In der Logistik wird mit Einsatz von RFID gearbeitet.

Im Bereich SAP werden die Fertigungsmengen mittels Maschinen- und Betriebsdatenerfassung eingelesen.

 

Beispiel 1: Was bedeutet RFID?

Ein Beispiel aus dem Alltag sind RFID-Etiketten in Modegeschäften. Damit wird Ware sichtbar und unsichtbar gegen Diebstahl geschützt. Sichtbare RFID-Sicherungen werden abgenommen und wiederverwendet, unsichtbare RFID-Labels werden vom Verkaufspersonal über einen Scanner gezogen und „neutralisiert“: Erst dann piepst die Ladentür beim Verlassen des Geschäftes nicht mehr. 

Auch das „Chippen“ von Hunden oder anderen Haus- und Nutztieren wird mit der RFID-Technik gelöst. Hier kommen schmale, längliche Speichermedien zum Einsatz.

„RFID“ (engl.: „radio-frequency identification“) bezeichnet die Identifizierung mit Hilfe elektromagnetischer Wellen und ist eine Methode, um Daten berührungslos und ohne Sichtkontakt lesen und speichern zu können. Überall dort, wo automatisch gekennzeichnet, erkannt, registriert, gelagert, überwacht oder transportiert werden muss, finden RFID-Systeme ihren Einsatz. Das RFID-System besteht aus einem Funketikett (auch „Transponder“ genannt) - das am Gegenstand befestigt wird oder sich im Gegenstand befindet und einen Kennzeichnungs-Code enthält - und einem Lesegerät zum Auslesen der Daten. 

Einsatz von RFID-Technik bei Wirthwein

RFID-Technik wird bei uns an den Standorten Crimmitschau und Sasbach eingesetzt. In Crimmitschau steuern wir so den Fluss der gefertigten Lüfterräder zu den Prüfstationen, in Sasbach wird die Auslieferung von Fertigware an den Kunden via Internet kommuniziert.

Den wesentlichen Vorteil sieht der strategische Logistikplaner der Wirthwein AG, Jürgen Wilhelm, in der schnellen Informationsweitergabe. „Wir können Materialflüsse ohne manuelles Eingreifen steuern, Schleusen ersetzen die händische Dateneingabe - die Fehlerquelle Mensch kann weniger Einfluss auf den Prozess nehmen. 

Einer der wesentlichen Vorteile von „Industrie 4.0“ ist auch das „Neue Arbeiten“: Im Zuge des demographischen Wandels und durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters gilt es, auch ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Produktionsprozess zu halten. Diesen Gedanken greift ein weiterer Faktor der RFID-Technik auf - die Labels müssen nicht aus der Nähe gescannt, sondern können durch Schleusentechnik erfasst werden. Dies ist ein positiver Faktor für ältere oder körperlich eingeschränkte Beschäftigte.

Pilotprojekt am Standort Sasbach

Grundlage des Pilotprojektes ist Kanban: Kanban kommt aus dem Japanischen und beschreibt eine Methode der Produktionsprozesssteuerung, sie orientiert sich am tatsächlichen Verbrauch von Material beim Warenempfänger. Unser Kunde reduziert so seine lokalen Bestände und überträgt Wirthwein die Verantwortung für die termingerechte Bereitstellung der benötigten Warenmenge.

Wenn bei unserem Kunden ein vordefinierter Meldebestand erreicht ist, löst das dortige Warenwirtschaftssystem eine Kanbankarte mit den benötigen Mengen und Materialnummern aus. Die von Wirthwein in Sasbach ausgedruckten Kanban-Karten werden mit einem Handlesegerät (Scanner) mit dem RFID-Tag oder -Chip, der sich an der Transportbox befindet, verheiratet. Die Kanban-Karte wird mit dem RFID-Tag in einer Hülle am Gebinde angebracht. Sobald die Kanban-Karte mittels Scanner mit dem RFID-Tag verheiratet wird, erhält der Kunde via Internet die Information, dass die Ware zum Verladen bereit steht. Beim Durchfahren der RFID-Schleuse im Lager beim Kunden wird automatisch der Wareneingang gebucht und ist dann auch systemseitig für die Produktion verfügbar. Nach dem Abladen werden die leeren Transportboxen wieder zu Wirthwein nach Sasbach zurückgefahren und der Vorgang beginnt von Neuem.

Warehouse-Management

Das Pilotprojekt am Standort Nauen ermöglicht eine hohe Bestandstransparenz mittels Warehouse-Management. Warehouse-Management bedeutet, dass an der Maschine die Fertigungsauftragsnummer, die von der Fertigungsplanung generiert wurde, ausgelesen wird. Die hinterlegten Daten geben an, wie viele Teile in einem Gebinde zu verpacken sind. Mit dem Bestätigen der Informationen wird ein Label erzeugt und ausgedruckt, wir kennen das als „Kennkarte“. Auf diesem Label ist eine eindeutige Gebindenummer abgedruckt, damit wird der Warenfluss von der Produktion bis zum Versand gesteuert.

Beispiel 2: Betriebsdatenerfassung

Die Betriebsdatenerfassung ist ein Messinstrument, welches auf Livedaten basiert, die direkt aus der Fertigung gesendet werden. Jede Spritzgießmaschine ist mit der Betriebsdatenerfassung verbunden. Dabei wird das Signal zum Plastifizieren aus der zentralen Steuereinheit der Maschine entnommen. Hierdurch ergibt sich die Zeit zwischen Öffnen und Schließen des Spritzgießwerkzeugs. 

Die Zeit zwischen den Öffnungsintervallen wird als Zykluszeit bezeichnet. Der Zyklus gibt an, wie viele Sekunden benötigt werden, um ein Formteil, bzw. bei mehreren Nestern in einem Mehrfachwerkzeug entsprechend mehrere Formteile, zu spritzen.

Von dieser Gesamtmenge muss der Ausschuss durch manuelle Dateneingabe abgezogen werden, um die Produktionsmenge, die an den Kunden geliefert werden kann, zu berechnen. 

An die Betriebsdatenerfassung sind aber nicht nur die Spritzgießmaschinen, sondern beispielsweise auch Montagestraßen, -anlagen, Schweißmaschinen oder Prüfvorrichtungen angeschlossen. „Eigentlich kann alles angebunden werden, was elektrisch gesteuert wird, weil ein Signal abgegeben wird“, so Controller Florian Hensel (Wirthwein AG, Creglingen). 

Jeder Standort verfügt über eine eigene Datenbank, um jederzeit eigenständig produzieren zu können, falls die Internetleitung einmal Störungen aufweisen sollte. In Creglingen steht der zentrale Server, dort werden die gewonnenen Daten für etwa drei Jahre abrufbar gehalten, bevor sie dauerhaft ins Archiv verschoben werden, wo sie aber auch jederzeit wieder herausgesucht werden können.

Schnittstellenkommunikation

Interessant für den innerbetrieblichen Ablauf ist die anwenderfreundliche Gestaltung und übertragungssichere Anbindung verschiedener Softwaresysteme. Diese Schnittstellenkommunikation muss reibungslos funktionieren, um die Möglichkeiten, die Industrie 4.0 bietet, nutzen zu können.

Das Beispiel verdeutlicht, wie mittels EDI ein Kundenauftrag oder -abruf in unser SAP-System übertragen wird. Durch den Datenbehälter IDoc werden alle Informationen eines Fertigungsauftrags an das Betriebsdatenerfassungssystem übertragen. SAP IDoc (Intermediate Document) ist ein Standard für den Austausch von Nachrichten zwischen Applikationen, die für SAP geschrieben wurden, bzw. zwischen SAP-Systemen und externen Programmen.

Mittels BDE wird die Ist-Menge ermittelt. Außerdem sind die Daten des BDE-Systems wiederum Grundlage für die Nachkalkulation, den Materialverbrauch oder Aussagen zum Ausschuss.

Zum aufgezeigten Beispiel sind weitere Anbindungen von Systemen durch Schnittstellen möglich, beispielsweise einem CAQ-System. Das CAQ-System trifft Aussagen zum Auditwesen, Dokumenten- und Reklamationsmanagement sowie zu Erstmusterprüfungen und zur Qualitätsplanung.

Die Botschaften der Betriebsdatenerfassung

Die Erfassung der Betriebsdaten ist mit einem sehr hohen Aufwand verbunden, der aber für die interne Steuerung einer Fabrik unbedingt erforderlich ist. Das Herauslesen und Analysieren der erfassten Daten ist kein Buch mit sieben Siegeln, sondern für die tägliche Arbeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Standard.

Beispielsweise kann das Controlling die prozentuale Maschinenauslastung ablesen, die wiederum für die Geschäfts- und Werkleitung, die Mitarbeiter der Fertigungssteuerung, Prozesstechnik und Qualitätssicherung sehr wichtig sind. So können gezielt Aufträge für eine vorhandene Maschine gesucht oder Kapazitäten optimal koordiniert werden. 

Die Berechnung der Ausschusszahl erfolgt auf Grundlage der Eingaben des Personals der Laufkontrolle. Mit diesen Auswertungen kann beispielsweise eine Optimierungsschleife gestartet werden, die an verschiedenen Parametern im Produktionsprozess ansetzt.

Die Meldungen von Störungen an den Maschinen werden mit Gründen dem Betriebsdatenerfassungssystem zurückgemeldet. So können Werkzeugdefekte analysiert, die Maschineninstandsetzung aktiviert und der Personaleinsatz optimiert werden. 

Die Software erlaubt es, weltweit und in Echtzeit den Sachstand an jeder einzelnen Maschine einzusehen. Damit werden ganz neue Möglichkeiten eröffnet: Der gesamte Maschinenpark kann über das Internet gesteuert werden - plakativ gesprochen auch auf dem Sofa sitzend von Zuhause aus.

Grenzen von Industrie 4.0 bei Wirthwein

Die Gedankenspiele bei Industrie 4.0 gehen so weit, dass durch die internetbasierte Prozesssteuerung die „Losgröße eins“ in Zukunft darstellbar ist. 

Die „Losgröße eins“ ist für Wirthwein aus wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll - unabhängig von eingeführten Prozessen nach Industrie 4.0. Je wertvoller das hergestellte Produkt und je tiefer der Wertschöpfungsgrad, desto kleiner kann die Taktung, also die Losgröße werden. Der Rüstprozess des Werkzeugs auf die Spritzgießmaschine samt Abmusterungsprozess kostet Zeit und Geld, auf diese Herausforderungen reagieren wir beispielsweise mit Vorwärmstationen und Schnellspannvorrichtungen für die Spritzgießwerkzeuge, so können wir die Losgrößen wirtschaftlich nach unten drücken. 

Je nach Geschäftsfeld und Kunden werden unterschiedliche Logistikprozesse vorgegeben. Im Geschäftsfeld Automotive übergibt der Kunde die Verantwortung für die Logistik an den Lieferanten. Die Fachwelt bezeichnet die Automobilindustrie deshalb auch als Pionier der Industrie 4.0. 

Im Geschäftsfeld Weiße Ware bestimmt der Kunde die vorzuhaltenden Lagerbestände. Der Bereich Medizintechnik ist durch ein hohes Sicherheitsdenken der Kunden gekennzeichnet. Hier ist in der Regel ein dreimonatiger Lagerbestand aus verschiedenen Chargen vorgegeben. Im Geschäftsfeld Bahn bekommt häufig derjenige Lieferant den Zuschlag, der die benötigte Ware auf Lager hat. 

Eine weitere Grenze ist die Datensicherheit, insbesondere im Hinblick auf das sogenannte Cloud Computing. In diesem Bereich ist ein gewisses Misstrauen angebracht, insbesondere wenn nicht klar ersichtlich ist, wer der Cloudbetreiber ist und wo die Daten letztlich gespeichert werden. 

Auch muss den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern klar kommuniziert werden, dass Industrie 4.0 nicht bedeutet, Personal wegzurationalisieren oder „Überwachungsfunktionen“ einzurichten. 

Vielmehr müssen Mitarbeiter besser qualifiziert werden, was zu einer engeren Bindung zwischen Beschäftigten und Unternehmen führt. Idealerweise erhalten die Mitarbeiter mehr Verantwortung, sind stolz auf ihre Ergebnisse und führen die Arbeit mit hohem Qualitätsbewusstsein aus.